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Reparieren, reformieren, transformieren – Wien und Berlin diskutieren Perspektiven für Wiederaufbau und EU-Haushalt

Es geht um fast zwei Billionen Euro und die Herausforderung, Europa nach der schlimmsten Wirtschaftskrise seit den 1930ern wieder auf die Beine zu stellen. Die Erwartungen an den Europäischen Rat, der sich am Freitag in Brüssel zu einer Sondersitzung trifft, um den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) und den Aufbauplan zu diskutieren, sind riesig. Wo liegen die Chancen auf Einigung, wo die größten Fallstricke? Am Anfang einer europapolitisch langen Woche besorgte der deutsch-österreichische Dialog eine Standortbestimmung bei der Frage, was wir vom Sondergipfel erwarten können – und welche Rolle die deutschsprachigen Hauptstädte darin spielen. Diskussionsimpulse gaben der Vertreter der Europäischen Kommission in Wien, Prof. Dr. Martin Selmayr, die Berliner Büroleiterin der Europäischen Investitionsbank (EIB) Dr. Eefje Schmid und die Vorsitzenden der Europäischen Bewegungen in
Deutschland und Österreich Dr. Linn Selle und Dr. Christoph Leitl.


Die Chancen auf eine Einigung sind gar nicht so schlecht, darin war sich das Panel einig. Selmayr erläuterte in seinem Eingangsstatement die Ratio hinter dem Wiederaufbauplan und bewertete das Potential der Abstimmung der EU-27 auf dem kommenden Gipfel. Wichtig sei die Frage,
welche Institution(en) über die Auszahlung der Mittel aus dem Aufbauplan entscheiden könnten, dass die Vergabe an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien geknüpft sei und die Auszahlung möglichst rasch beginnen könnte. Schmid berichtete zu den EIB-Förderprogrammen zur
Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, die anders als noch in der Finanzkrise deutlich rascher aufgesetzt worden seien. Werde der Aufbauplan so wie geplant beschlossen, sei eine Kapitalerhöhung des größten multilateralen Geldgebers um 17,5 Milliarden Euro nötig.  

Leitl setzte die bevorstehenden Entscheidungen auf dem Europäischen Rat in den Kontext nationaler Reflexe zu Beginn der Pandemie: Dass die EU-27 trotz der Unterstützungsbereitschaft der Europäischen Kommission darauf bestanden hätten, alles allein zu machen, sei eine fatale Entscheidung gewesen. Deshalb sei es nun wichtig, den Gemeinschaftsgeist zu stärken. Er warb außerdem für eine möglichst schnelle Entscheidung, um ein schnelles positives Signal in Richtung der Unternehmen und ihrer Beschäftigten zu senden. Das unterstrich Selle auch mit Blick auf die mehr als 50 Anschlussverordnungen zum MFR, die vor Auszahlung der Mittel aus dem EU-Haushalt noch abgestimmt werden müssten. Die EBD-Präsidentin hob daneben hervor, dass die Ausgaben aus dem Aufbauplan – genau wie beim MFR – einer parlamentarischen Kontrolle unterliegen und an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien gebunden sein müssen. Für beides
setzt sich die EBD seit Jahren ein.


Darf man – und sollte man mit Blick auf kommunikative Kollateralschäden – hinsichtlich der unterschiedlichen Vorschläge zum MFR von „Kürzungen“ in einzelnen Ausgabenbereichen sprechen, auch wenn die allermeisten Programme mehr Geld erhalten als in der aktuellen Haushaltsperiode? Welche Rolle spielt das Einstimmigkeitsprinzip, und wie realistisch ist seine
Abschaffung? Gibt es angesichts drohender MFR-Vetos beim Thema Rechtsstaatlichkeit einen Königsweg zwischen dem penetrant erhobenen Zeigefinger in Richtung Osteuropa und der Erosion europäischer Werte? Und wie lässt sich eine demokratische Governance durch die
Stakeholder in den Ausgabenprogrammen realisieren, wie es etwa bei der Vergabe der Strukturfonds mit den Sozialpartnern der Fall ist? Um diese Fragen kreiste die anschließende Diskussion des Panels mit den mehr als 80 Teilnehmenden, die EBD-Generalsekretär Bernd Hüttemann moderierte. 

Deutlich wurde: Brückenbauen in alle Richtungen ist notwendig – das geht allerdings nicht ohne ein stabiles Wertefundament. Zu beidem können und müssen die gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland und Österreich beitragen, mit Blick auf den Europäischen Rat am Freitag, aber auch
darüber hinaus. Den grenzüberschreitenden Dialog wird die EBÖ in jedem Fall auch dann weiterführen, wenn physische Diskussionen wieder möglich werden.